Das islamische Glaubensbekenntnis: Die Shahāda verstehen

„Ich bezeuge, dass es keine anbetungswürdige Gottheit gibt außer Allah, und ich bezeuge, dass Muhammad sein Diener und Gesandter ist.“

Dieses Glaubensbekenntnis sprechen in Deutschland jährlich rund 5.000 Menschen bei ihrem Übertritt zum Islam aus. Für über fünf Milliarden Muslime weltweit bildet das Glaubensbekenntnis die Grundlage ihrer Existenz. Was meine ich damit? Was genau steckt hinter diesen Worten, die das Leben und die Identität so vieler Menschen prägen?

Die Shahāda symbolisiert die bewusste Entscheidung, die Einheit Allahs ﷻ (auf Arabisch: Tawhid) und die Prophetenschaft des letzten Gesandten Muhammads ﷺ anzuerkennen und zu leben. Bei dem Glaubensbekenntnis geht es um eine tiefe Überzeugung im Herzen.

In diesem Artikel möchte ich euch die Bedeutung und die spirituelle Tiefe der Shahāda näherbringen. Außerdem möchte ich die Frage beantworten, warum das Glaubensbekenntnis für Muslime die erste und wichtigste Verbindung zu Allah ﷻ darstellt.

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1. Die grammatische Zusammensetzung:  أَشْهَدُ أَن لا إِلاهَ إِلّاَ أللّه و أَشْهَدُ أَنَّ مُحَمَّداً عَبْدُهُ وَ رَسُولُهُ

Nachfolgend möchte ich die Shahāda in ihre Einzelelemente zerlegen, um einzeln auf ihre Bedeutung sowie Funktion einzugehen.
Das Glaubensbekenntnis besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil bezeugen wir die Einheit Allahs ﷻ und und im zweiten Teil die Entsendung des Propheten Muhammad. Der erste Teil besteht aus 6 Wörtern, der zweite Teil aus 7 Wörtern.

أَشْهَدُ = Ich bezeuge

أَن = dass

لا = keine; absolute und vollständige Verneinung im Hocharabischen. Es gibt keine andere Verneinung in der hocharabischen Sprache, dass alles andere ausschließt.

إِلهَ = Gottheit

إِلّاَ = außer

أللّه = Allah

و = und; mit diesem „und“ werden beide Teile des Glaubensbekenntnisses miteinander verbunden.

أَشْهَدُ = ich bezeuge

أَنَّ = dass

مُحَمَّد = Muhammad

عَبْدُهُ = Sein (Allahs) Diener; hier sind zwei Besonderheiten. Zum einen wird erst betont, dass Muhammad ﷺ der Diener Allahs ist und zum zweiten deutet das „هُ“ am Ende des Wortes auf Allah ﷻ hin.

وَ = und

رَسُولُهُ = Sein (Allahs ﷻ) Gesandter (ist).

2. Inhaltliche Erklärung

Überzeugungen finden immer im Herzen statt. Wenn jemand also das Glaubensbekenntnis und ganz besonders das erste Wort in beiden Teilen  „أَشْهَدُ“ / „ich bezeuge“, ausspricht, weiß er in seinem Herzen, dass Allah Erhaben ist über alles existierende. Er weiß von der Einheit Allahs ﷻ und stellt Ihm ﷻ keine Partner zu Seite. Ebenso erkennt er an, dass Prophet Muhammad ﷺ der letzte Gesandte Allahs ﷻ ist. 

Dieselbe Gewissheit gibt es mit dem Aussprechen von „لا“ / „keine“ in Bezug auf die Einheit, Einzigartigkeit und Allahs ﷻ.

Muslime verneinen nicht nur, dass es irgendeine andere Gottheit gibt, außer Allah ﷻ, sondern wissen auch, dass Er ﷻ der Einzige ist, der dem Menschen alles geben und alles nehmen kann. Denn wir wissen, dass Er ﷻ alles, was in der Existenz ist, erschaffen hat.

Insgesamt wird mit „لا إِلهَ إِلّاَ أللّه – Es gibt keine Gottheit außer Allah) deutlich, dass dies dem islamischen Verständnis von Tawhid al-Rububiyyah (توحيد الربوبية – Allahs Einheit als Herrscher und Schöpfer) entspricht, dem Aspekt der Einheit Allahs ﷻ als Schöpfer, Erhalter und Herrscher über alles, was existiert. Das Wissen, dass nur Allah ﷻ Macht über das Geben und Nehmen von allem hat, betont die absolute und ungeteilte Kontrolle und Souveränität, die Allah ﷻ über das Universum hat.

Allah ﷻ ist der einzige Schöpfer und Lenker, und nichts geschieht ohne Seine Erlaubnis oder Seinen Willen ﷻ. Dies schließt die Versorgung (Rizq), das Leben und den Tod aller Lebewesen sowie das Schicksal jedes einzelnen Menschen mit ein. Dieses Wissen führt Muslime dazu, sich in Hingabe und Vertrauen an Allah ﷻ zu wenden, da sie wissen, dass nur Er ﷻ in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu erfüllen und sie vor Schaden zu bewahren.

Gleichzeitig schützt dieses Wissen Muslime davor, Vertrauen in materielle Dinge oder Menschen als Quelle von Sicherheit und Erfolg zu sehen. Ihre Überzeugung und ihr Wissen erinnert sie Tag für Tag daran, dass alle Kräfte und Ursachen letztlich von Allah ﷻ abhängig sind.

Im zweiten Teil des Glaubensbekenntnisses „شْهَدُ أَنَّ مُحَمَّد عَبْدُهُ وَ رَسُولُهُ – ich bezeuge, dass Muhammad Sein Diener und Gesandter ist“ erkennt der Muslim an, dass Prophet Muhammadﷺ der letzte Prophet und Gesandter Allahs ist. Dieser zweite Teil sagt noch etwas wichtiges aus: Prophet Muhammad ﷺ war in erster Linie Diener Allahs ﷻ. Das heißt, er ﷺ hat in keiner Angelegenheit, so klein sie auch schienen mag, nach eigenem Ermessen entschiedenen und so gehandelt. Wenn es sein musste, hat er ﷺ auf den Befehl Allahs ﷻ gewartet. Genauso wie für jeden Muslim, galten auch für ihn ﷺ die Gebote und Verbote im Islam. Erst an zweiter Stelle war er ﷺ Gesandter Allahs und hatte damit eine mächtige Aufgabe und Verantwortung.

3. Zurück zur natürlichen Veranlagung

Jeder Mensch hat einen لهَ, also eine Gottheit in seinem Leben. Seien es die eigenen Gelüste, Geld, Macht, Status, der Partner oder das eigene Kind. In dem Leben eines jeden Menschen gibt es jemanden oder etwas, was im Zentrum seines Herzens einen festen Platz hat. Dieser إِلهَ bzw. diese Gottheit im Herzen und im Zentrum unseres Lebens bestimmt unser komplettes Denken und Handeln. Eine falsche Gottheit kann den Menschen ins Verderben stürzen. 

Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Ein Auto fährt nur mit der richtigen Flüssigkeit im Tank und diese ist entweder Benzin oder Strom. Wenn nun jemand auf die Idee käme, den Tank mit Apfelsaft zu füllen, würde das Auto dann noch fahren? Wenn ja, wie lange? Irgendwann, wenn nicht bei der ersten Fahrt, würde das Getriebe sicher zerstört werden.

Genau dasselbe gilt auch für das Herz des Menschen. Es wurde nur gemacht, um es mit Allah zu füllen. Füllen wir unser Herz mit etwas anderem als Allah, verirren wir uns in der Finsternis. Nur mit Allah ﷻ im Zentrum unseres Herzens und unseres Lebens können wir unser Dasein verstehen und als Mensch wachsen, uns weiterentwickeln. Damit erkennt der Mensch seine begrenzte Macht an und weiß gleichzeitig, in seiner Existenz auf Allah ﷻ angewiesen zu sein. 

Noch ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Wenn wir einen stockdunklen Raum betreten, können wir darin nichts sehen. Doch sobald wir das Licht einschalten, tritt alles in seiner ganzen Pracht vor uns hervor, und wir können alle Dinge in ihren verschiedenen Farben klar erkennen.

So ist das Universum wie dieser dunkle Raum, und „La ilahe illa Allah“ (es gibt keine anbetungswürdige Gottheit außer Allah) gleicht einer Lampe. Wenn wir mit dem Licht dieser Aussage, die den Monotheismus bezeugt, auf die Welt blicken, wird alles erhellt. Alle Geschöpfe erscheinen dann als Diener, die ihre Aufgaben im Namen Allahs verrichten.

Die Überzeugung ist wie ein Licht; sie erleuchtet den Menschen und lässt ihn alle göttlichen Botschaften lesen, die in seiner Existenz geschrieben stehen… (23. Wort – Risale-i Nur)